Die Tage scheinen stillzustehen in der chinesischen Wüste. In einer einsamen Herberge lebt der zwielichtige Ou-yang Feng (Leslie ). Er vermittelt Mordaufträge an Schwertkämpfer. Im Grunde ist Feng ein Seelenhändler, doch die ihn aufsuchen, sind so von Rachsucht und Bitterkeit besessen, dass der distanzierte Feng ihnen gegenüber seltsam unschuldig wirkt. Um Fengs Gäste und deren Lebensgeschichte entspinnen sich die Handlungsstränge von “Ashes of Time Redux”. Wong Kar-Wai lässt sie sich kreuzen und verwebt sie zu einem kunstvollen Teppich. Mitunter ist es schwer, unter den vielen Charakteren den Überblick noch zu behalten. “Ashes of Time Redux” erzählt keine stringente Handlung, sondern verbindet Märchen und Volkssage zu einem tragisch-bitteren Episodenfilm. Poetisches und Banales vermischt sich in den Geschichten. Huang Yao-Shi (Tony Leung Ka Fai) hat einen Zauberwein als Geschenk erhalten, welcher das Vergangene vergessen lässt. So euphemistisch wie in “Ashes of Time Redux” wird der altbekannte Blackout nach übermäßigen Alkoholgenuss selten umschrieben. Huang verspricht Mu-Rong Yin, dessen Schwester Mu-Rong Yang (Brigitte Lin) zu heiraten, die sich tatsächlich unter der Verkleidung ihres fiktiven Bruders verbirgt. So beauftragt Mu-Rong Yin diesen Feng Huang , der sein Versprechen brach, zu töten. Als Mu-Rong Yang beauftragt sie ihn, ihren vermeintlichen Bruder, somit sie selbst, umzubringen. Ein beinahe erblindeter Schwertkämpfer (Tony Leung Chiu) und ein unerfahrener Krieger (Jackie Cheung), der sich in ein armes Mädchen verliebt, deren Bruder von Banditen ermordet wurde, verlieben sich in der Herberge. Doch die Schicksale in “Ashes of Time Redux” münden in Einsamkeit und Bitternis.
Das 93-minütige Drama ist eines der kürzesten Werke Wong Kar-Wais, ’gefühlt’ ist es das längste. Bereits 1994 kam “Ashes of Time” in einer um sieben Minuten längeren Version heraus. Im Kino verheißt “Redux” für gewöhnlich, ähnlich dem “director ´s cut”, eine längere Version mit ungezeigten Filmszenen. Nun können Weglassungen Inhalt und Atmosphäre eines Films ebenso entscheidend verändern wie Ergänzungen, siehe Ridley Scotts “Blade Runner Redux” ohne das vom Studio angehängte Happy End und den Hintergrundkommentar. Dass die sieben Minuten so entscheidend waren, dass “Ashes of Time” ohne sie erneut herauskommen muss, lässt sich schwer glauben. “Ashes of Time” als Historienfilm zu bewerten, hieße jedoch ihn missdeuten. Wong Kar-Wais Drama ist eine melancholische Studie um Einsamkeit, Reue und vergebliche Liebe, ein Kammerspiel, dessen geschlossener Raum die Wüste ist. Wie die Episoden von “Ashes of Time Redux” als Einzelstücke leichter zu genießen sind als der komplette Film, sind es herausragende Einzelaspekte, welche den Film aus der Masse der epischen Werke des Hongkong-Kinos herausheben. Christopher Doyles präzise Kameraarbeit, welche kürzlich Jim Jarmuschs lakonischen “The Limits of Control” bereicherte, verleiht den Szenen eine melodiöse Schwere. Gleichzeitig ist “Ashes of Time Redux” posthum der letzte Film des Hauptdarstellers Leslie Cheungs, der sich 2003 das Leben nahm.
Mit “Ashes of Time” inszenierte Wong Kar-Wai bewusst abseits der opulenten Schlachtendramen und Historienfilme, welche den Mainstream des asiatischen Kinos hierzulande repräsentieren. Die Erzählungen konzentrieren sich auf die innere, von Emotionen beherrschte Welt der Protagonisten. Ihre praktischen Handlungen werden hauptsächlich in Zwischentexten zusammengefasst. Die eingeblendeten Zeilen fassen nur das Nötigste zusammen. Sie sind zweitrangig, die unvermeidliche Konsequenz der Gefühlsprozesse, welche “Ashes of Time” in ihrer kleinsten Nuance auszuleuchten versucht. Inhaltlich fügt sich der optisch aus dem Oeuvre des Regisseurs und Drehbuchautors heraus stechende “Ashes of Time Redux” in Wong Kar-Wais Filmografie mit den charakteristischen Stärken Nachdenklichkeit und Sensibilität und den typischen Schwächen Larmoyanz und Gemächlichkeit. Bis der Wüstensand alles zudeckt. Asche zu Asche. Ganz ohne Erleichterung verlässt man “Ashes of Time Redux“ nicht.
Titel: Ashes of Time Redux
Start: 17. September
Regie und Drehbuch: Wong Kar-Wai
Darsteller: Leslie Cheung, Maggie Cheung, Brigitte Lin, Tony Leung Kai Fai
Verleih: Fox